Der Wunsch, schon vor Beginn eines Auswahlverfahrens die genaue Gehaltshöhe zu kennen, ist in den letzten Jahren immer stärker geworden. Sowohl eine Vielzahl von frustrierten Bewerbern, die erst nach drei Vorstellungsrunden realisierten, dass das angebotene Gehalt nicht den Vorstellungen entsprach, als auch Anbieter von Stellenangebotsportalen, die ganz heiß darauf sind, ihre Stellenanzeigen nach dem Gehalt selektieren zu können, bringen die Forderung nach einem transparenten Gehalt in der Stellenanzeige stetig wieder in die Diskussion. Und auch die Forderungen nach Transparenz, Gleichheit und Fairness sind starke Argumente für eine klare Benennung des Gehaltes.
Betrachtet man diese legitimen Forderungen genauer und überprüft diese an der Realität in den Unternehmen, so ist es einerseits oft gar nicht so einfach, ein Gehalt zu benennen, während es andererseits viele Fälle gibt, bei denen das wiederum kein Problem sein sollte.
1.Für einen Großteil der Positionen ist das Gehalt transparent!
Ein Großteil der Stellenangebote bezieht sich auf Positionen in tariflichen Bereichen, in Bereichen des öffentlichen Dienstes oder das Unternehmen benennt selbst in irgendeiner Form das Gehalt. Je nachdem, wie engagiert ein Bewerber ist, lässt sich das Gehalt meist anhand einer Gehaltstabelle direkt ablesen oder zumindest so eingrenzen, dass nur eine relativ schmale Range an Unsicherheit bleibt. Entsprechende Gehaltstabellen finden sich meist nach kurzer Recherche im Internet.
Auch für die vielen Positionen im öffentlichen Dienst sind die Gehälter im Großen und Ganzen schon transparent und für einen Bewerber schnell einzugrenzen. Die Art der Verantwortung, der Inhalt der Tätigkeiten, die benötigte Qualifikation und Berufserfahrung, manchmal noch der Ort der Position: Schon ist man bei dem Großteil der Positionen in den tariflichen Bereichen und dem öffentlichen Dienst nah am Gehalt. Das hat zwar mit ein wenig Recherchearbeit zu tun, aber hinsichtlich der großen Aversion von Bewerbern, sich ausführlich mit einem Angebot zu beschäftigen, könnten die Unternehmen in diesen Fällen zumindest eine Gehaltsrange ohne große Probleme angeben.
Aber wenn es doch so viele Argumente für eine Veröffentlichung von Gehältern gibt, warum geben Unternehmen sie dann nicht an?
2. Unternehmen wissen nicht, was Sie (heute) zahlen müssen
Nicht jedes Unternehmen ist tariflich gebunden, nicht alle Unternehmen haben eine einheitliche, faire und nachvollziehbare Gehaltssystematik und viele Unternehmen sind in Märkten unterwegs, in denen das Angebot (der wechselnde Bewerber) das Gehalt bestimmt. Wie viel sie für neue Mitarbeiter bezahlen (müssen), ist zum Beginn einer Suche nicht klar. Jede Nennung einer Zahl wäre geraten und würde Bewerber eher aus- als einschließen.
Für viele kleine und mittlere Unternehmen ist der offene Arbeitsmarkt mit Ausschreibung und Bewerbungsgesprächen auch kein Standardprozess. Neue Positionen werden mit Auszubildenden (nach)besetzt oder anderweitig vergeben. Auch wirtschaftliche Schwierigkeiten, die Unternehmen einige Zeit von Neueinstellungen absehen lassen, sind nicht ungewöhnlich. Kehren diese Unternehmen nach einigen Jahren wieder „auf den Markt“ zurück, sind sie oft erstaunt, was mittlerweile gezahlt wird.
Beispiel 1:
Seit vielen Jahren berät unser Unternehmen einen börsennotierten Konzern. In diesem Konzern gab es eine Spezialabteilung, die über 10 Jahren ohne Personalwechsel ausgekommen ist. Viele Mitarbeiter waren auch noch nie in einem anderen Unternehmen beschäftigt. Entsprechende Lohnsteigerungen waren identisch mit der Lohnentwicklung im Konzern. Als das Unternehmen in der Führung der Abteilung zwei neue Mitarbeiter suchte (es handelte sich um Führungspersonen im außertariflichen Bereich), die mittlerweile am Markt sehr stark nachgefragt sind und entsprechend teuer und schwer von einem Wechsel zu überzeugen waren, wurde unser Unternehmen beauftragt. Nach den ersten Gesprächen und einer Markteinschätzung unsererseits war klar, dass die aktuellen Gehälter in der Abteilung in den Führungspositionen 20-35 % unterhalb des Marktes lagen. Das Unternehmen konnte die Gehaltssystematik nicht von heute auf morgen ändern. Eine Veröffentlichung des gewünschten Gehaltes hätte sicherlich zu Stirnrunzeln am Markt geführt, aber keine Bewerbung generiert.
Beispiel 2:
Ein aktueller Kunde unseres Hauses möchte seine Leistungen auch in anderen Branchen und mit einem bestimmten inhaltlichen Fokus anbieten. Dem Unternehmen ist zum Zeitpunkt der Suche unklar, wen es eigentlich sucht und was diese Person verdienen kann. Von einem angestellten Fachreferenten mit tiefen Kenntnissen bis hin zu gestandenen Unternehmerpersönlichkeiten sind unterschiedliche Profile in der Diskussion und finden das Interesse des Unternehmens. Auch die jeweiligen Gehälter variieren von 80.000 bis 180.000 Euro, je nach Erfahrungshintergrund. Aber auch Beteiligungsmodelle sind für das Unternehmen und Bewerber denkbar. Was sollte dieses Unternehmen als Gehalt angeben?
3. Unternehmen wollen bzw. können nicht marktgerecht zahlen
Viele Unternehmen haben eine stabile Belegschaft und ein über Jahre gewachsenes Gehaltsgefüge. Wenn neue Mitarbeiter, gerade in Zeiten wie diesen, dazustossen, geraten viele etablierte Gehaltsstrukturen in Bedrängnis. Wenn ein neu dazukommender Mitarbeiter mehr verdient als viele etablierte Kräfte, dann entstehen ggf. Konflikte. Das Anheben aller Löhne ist meist wirtschaftlich nicht darstellbar, Kalkulationen und Angebote geraten schnell aus der Wirtschaftlichkeit. Viele Unternehmen entscheiden sich daher gegen die Veröffentlichung der Gehälter, um diesen Konflikten auch mit der Belegschaft aus dem Weg zu gehen.
Beispiel 3:
Die Baubranche ist sehr unterschiedlich organisiert: Großunternehmen mit Tarifbindung, schnell gewachsene und wachsende mittelständische Unternehmen, traditionelle Handwerksbetriebe und viele kleine Unternehmen, Soloselbstständige und Bauunternehmungen aus dem benachbarten Ausland.
Ein schnell wachsendendes mittelständisches Unternehmen beauftragte uns mit der Suche nach Projektleitern und weiterem mittleren Führungspersonal. Das Unternehmen gehört eher zu den unterdurchschnittlich zahlenden Unternehmen der Branche. Bei der aktuellen starken Nachtfrage nach qualifiziertem Personal haben wir das Unternehmen mit zahlreichen Profilen konfrontiert, die mindestens 30 % Prozent über den aktuell gezahlten Gehältern lagen. Der Grund dafür lag vor allem daran, dass diese Mitarbeiter aus Unternehmen kamen, die 1. schon besser zahlten, 2. Prämien wie Inflationsausgleiche, Gehaltssteigerungen und hohe Tarifabschlüsse in den letzten Jahren realisiert haben und 3. eine weitere Steigerung auf Grund des Wechsels forderten.
Das Unternehmen hat keine dieser Personen eingestellt, da sie weder das Gehaltsgefüge ändern wollten noch angesichts ihrer Preispolitik konnten. Da der Wettbewerb seine Gehälter ebenfalls nicht veröffentlicht und der Anteil der Lohnkosten an den Gesamtkosten der Projekte sehr hoch ist, liegt hier ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor, der einer Veröffentlichung aus Sicht des Unternehmens entgegensteht.
4. Stellenprofile und Gehälter lassen sich ändern – Menschen meist (so schnell) nicht
Eine wesentliche Erfahrung aus 15 Jahren Personalberatung ist, dass in der Rekrutierung von Führungskräften und mittlerweile auch Fachkräften eine Änderung der Gehaltszahlung und/oder eine Neudefinition der Position deutlich häufiger vorkommt, als man vermuten würde. Gerade in Bereichen, in denen keine starren Gehaltssysteme einer Einstellung entgegenstehen, schlagen die Persönlichkeit, die Präsentation und individuelle Erfahrung sowie die einzubringenden Netzwerke oft die Anforderungsprofile und Budgets, die mit der Stelle verbunden sind. Die höhere Einwertung der Stelle, eine Erhöhung des Budgets, sind für Unternehmen dabei stets einfacher zu realisieren, als eine neue Person mit ähnlichen Qualitäten zu suchen (und zu überzeugen!).
Und ein ebenfalls oft zu beobachtendes Phänomen ist, dass Unternehmen im Rahmen des Auswahlprozesses Kandidaten oft andere Positionen mit anderen Gehältern anbieten, auf die sich die Bewerber gar nicht beworben haben und die teilweise noch gar nicht veröffentlicht sind.
Beispiel 4:
Einer unserer Konzernkunden suchte an einem Hochlohnstandort eine außertariflich eingestufte Position. Nach vielen Kandidatenvorschlägen war schnell klar, dass die bestehenden Gehaltstabellen an diesem Standort nicht funktionierten. Die Kandidaten lagen allesamt weit über dem Budget. Nach einigen Diskussionen und innerbetrieblichen Kopfständen wurde die Position neu eingewertet, der Kompetenzbereich erweitert und so ein anderes Gehalt möglich. Das Unternehmen konnte so eine überaus qualifizierte Kandidatin gewinnen. Was wäre passiert, wenn das Unternehmen mit dem zuerst vorgegebenen Budget gestartet wäre?
Fazit:
Es gibt eine Vielzahl von Gründen, Stellenangebote mit Gehaltsangaben zu inserieren. Hinsichtlich der Transparenz, der Fairness, der besseren Orientierung auf Stellenportalen und aus vielen anderen Gründen ergibt dies auf jeden Fall Sinn.
Aber, und das sollte dieser kurze Exkurs aus unserer Praxis der Personalberatung zeigen, es gibt auch gute Gründe, das nicht (immer) zu tun. Seriöse Angaben zu Gehältern sind nur dort möglich, wo diese auch eigehalten werden. Dies ist vor allem in tariflichen Bereichen der Fall. In den Bereichen der frei verhandelbaren Gehälter haben Gehaltsangaben meist keinen substanziellen Wert. Sie spiegeln Überlegungen wider, die bei passenden Bewerbern auch wieder geändert werden können, oder haben ausschließlich werblichen Charakter. Mehr als eine grobe Orientierung leisten sie meist nicht.
Gerade im Bereich der Führungskräfte sollte auch bei abweichender Gehaltsvorstellung nicht von Gesprächen oder Bewerbungen abgesehen werden. Bei sehr restriktiven Auswahlprozessen wird man dann zwar sofort eine Absage erhalten, aber in Zeiten anhaltenden Fach- und Führungskräftemangels werden so organisierte Verfahren immer seltener und Unternehmen prüfen die Bewerbungen sehr genau, prüfen alternative Einsatzmöglichkeiten oder erweitern das Gehaltsspektrum.