In Zeiten der Pandemie ändern sich viele Prozesse in den Unternehmen radikal. Die „neue Normalität“ bedeutet für viele Büroangestellte „Homeoffice“ und einen vollkommen neuen Umgang mit Kolleg*innen und Kund*innen. Grundlegende Bereiche in den Unternehmen stehen vor neuen Herausforderungen und viele Firmen verlieren weiterhin signifikant Geschäft. 1
Auch das Recruiting steht in diesen Zeiten vor neuen schwierigen Aufgaben: Während die einen in Bewerbungen auf ihre Ausschreibungen förmlich untergehen, finden andere nach wie vor kein geeignetes Personal. Viele haben ihre Aktivitäten im Bereich Rekrutierung erst einmal auf ein Minimum reduziert, führen nur vorsichtig Gespräche im Videochat und sondieren eher, als dass sie aktiv rekrutieren. 2
Nach nunmehr über einem halben Jahr in der „neuen Normalität“ 3 sind aber viele Unternehmen schlichtweg gezwungen, wieder verstärkt in das Thema Recruiting einzusteigen.
Die Ansprüche, die Suche und die Ziele der Bewerbenden haben sich unter Pandemiebedingungen aber zum Teil komplett geändert, sodass Recruiting-Verantwortliche ihre Strategien zur Bewerbendengewinnung überdenken müssen. In unserem kleinen Beitrag versuchen wir einen ersten Einstieg in dieses Thema zu vermitteln, und Wege und Strategien für das Recruiting in Zeiten der Pandemie zu entwickeln. 4
Arbeitsmarkt in Coronazeiten
Mehr als 5 Millionen Beschäftigte befanden sich im Sommer 2020 in Kurzarbeit. 5 Viele weitere haben ihren Arbeitsplatz bereits verloren und etliche werden ihre Arbeitsplätze noch in Folge von Beschäftigtenabbau in diesem oder im nächsten Jahr verlieren. 6 Die angespannte Situation der Unternehmen wird vielerorts von Förderinstrumenten wie Kurzarbeit, Überbrückungskrediten und Sonderförderungen des Bundes begleitet, um Massenentlassungen vorzubeugen. Am Arbeitsmarkt, der über viele Jahre hinweg nur Aufschwung kannte, ergeben sich nun völlig neue Konstellationen, die für Recruiting-Verantwortliche bedeutsam sind. 7
Hier ist es wichtig, die Gruppen von möglichen Bewerbern zu identifizieren und deren Situation genau zu reflektieren. Daraufhin lassen sich dann spezielle Strategien in der Ansprache entwickeln.
Beschäftigte sind oder werden entlassen (werden) und orientieren sich aktiv
Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt niemand genau abschätzen kann, wie viele Menschen ihren Arbeitsplatz in Folge der Pandemie verlieren werden, so gibt es derzeit nicht viele hoffnungsfördernde Indizien für eine schnelle Erholung des Arbeitsmarktes. Viele Menschen werden pandemiebedingt ihren Arbeitsplatz verlieren und/ oder die Stelle wechseln (müssen). Dies ist eine Herausforderung für alle Beteiligten:
- Allein die IG Metall rechnet kurzfristig mit über 200.000 tariflich Beschäftigten, die ihre Beschäftigung in den ehemals starken, metallverarbeitenden Branchen verlieren 8. Darunter befinden sich nicht nur Produktionsmitarbeitende, die in Folge sinkender Nachfrage nicht mehr so viel produzieren, sondern ebenso Mitarbeitende in kaufmännischen und administrativen Funktionen. Ähnliche Zahlen melden die Krisenbranchen Reise, Verkehr und Gastronomie.
- Hinzu kommen die zahlreichen Mitarbeitenden der KMU, die meist ganz leise und von den Leitmedien unbeachtet ihren Arbeitsplatz nicht länger halten können und die zahlreichen Soloselbstständigen, die zum Beispiel in der Veranstaltungsbranche ihr Auskommen verloren haben und nun wieder Interesse an einer Festanstellung haben.
- Viele der Jobabbauprogramme in den Konzernen laufen dabei gerade erst in Form von Freiwilligenprogrammen an und die Beschäftigten dort werden nicht früher als zum Ende des Jahres oder auch im Laufe des nächsten Jahres ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen. Weitere Stellenabbauprogramme werden sicherlich folgen. 9
Die Summe derer, die sich dann in der beruflichen Neuorientierung befinden, sich aktiv auf Anzeigen bewerben, Initiativbewerbungen versenden und über Empfehlungen in die Recruiting-Abteilungen gelangen, werden eine Vielzahl von Bewerbungsvorgängen auslösen, die von vielen Unternehmen in der derzeitigen Besetzung kaum bearbeitet werden können. Die Aufgabe wird es dann sein, mit Massenprozessen10 in der Kommunikation bewerberfreundlich, schnell und ausreichend selektiv erfolgreich zu sein.
Stellenanzeigen erhalten in diesem Kontext wieder eine neue Bedeutung. Bei einem so breiten und ausgeprägten „Aktivsuchermarkt“ sollten Stellenanzeigenportale, soziale Medien und ggfs. sogar Tageszeitungen wieder stärker in den Fokus genommen werden.11
Beschäftigte in Kurzarbeit mit Wechselambitionen als leicht aktivierbare „Passivsucher“
Kurzarbeit ist ein Instrument, welches zeitlich eng begrenzt sein sollte und Beschäftigten wie Unternehmen einiges abverlangt. Neben der Reduzierung der Arbeitszeit findet auch eine Reduzierung der Bezüge statt.12 Bei der Vielzahl der Kurzarbeitenden sind im Wesentlichen drei Gruppen für Recruiting-Verantwortliche aktuell interessant:
- Unter der Vielzahl der Kurzarbeitenden befinden sich Personen, denen das Kurzarbeitergeld über viele Monate hinweg nicht ausreicht und die zur Bestreitung ihrer finanziellen Verpflichtungen auch kurzfristig eine neue Herausforderung annehmen würden. Sofern das Angebot stimmt, sind diese Personen für entsprechende monetär attraktive Angebote aktivierbar.
- Die dauerhafte Beschäftigung weit unterhalb der Normalauslastung (bis teilweise KUG -null) demotiviert viele Beschäftigte, die vor allem an Leistung und Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele und ihrer persönlichen Karriere interessiert sind. Bei entsprechenden spannenden Herausforderungen sind diese leicht für einen Wechsel erreichbar.
- Der latente Wunsch vieler Beschäftigter, den Arbeitsplatz zu wechseln wird unter den Bedingungen der Pandemie und der Kurzarbeit manifest und ehemals hemmende Faktoren für eine berufliche Veränderung werden unter den aktuellen Bedingungen in einem anderen Licht gesehen.
Viele Mitarbeitende, die eigentlich keinen Jobwechsel planten, sind unter den Pandemiebedingung und der Kurzarbeit durchaus für eine Veränderung zu begeistern. Diese Personengruppe ist offen für eine direkte Ansprache durch einen unternehmenseigenen direct search oder eine externe Ansprache. Gründe wie Gehalt, Karriere oder auch eine neue Herausforderung unter Vollzeitbedingungen sind in dieser Gruppe Triebfedern und müssen in der Ansprache individuell erarbeitet werden.
(Normale) Fluktuation wird zum Ausnahmephänomen
Die normalen Gründe für Fluktuation werden unter Pandemiebedingungen und der großen Anzahl von Kurzarbeitenden zum Randphänomen, bleiben aber weiterhin durchaus bedeutend. Es gilt hier – wie immer im Recruiting – genau hinzuschauen und zuzuhören, welche Wechselmotivationen von Seiten der Bewerbenden genannt werden. In Zeiten der Corona-Pandemie einen Arbeitsplatz ohne Not zu wechseln, bedeutet, dass wichtige Motive dahinterstecken und diese gilt es für den Recruiter zu identifizieren. Zum Beispiel wirkt die angespannte Situation sich nachhaltig auf das Arbeitsklima aus. Die Angst um das Unternehmen und den Arbeitsplatz lassen in manchen Kontext die schlechten Eigenschaften von Kolleg*innen und Führungskräften zu Tage treten. Aber auch Umstrukturierungen, Versetzungen oder pandemiebedingt neue Aufgaben, können Triebfedern für einen Wechsel sein. Viele Mitarbeitende suchen unter diesen Bedingungen aktiv den Übergang zu etwas Neuem oder sind durch eine direkte Ansprache zu erreichen.
Beschäftige mit hoher Loyalität sind für Ansprachen kaum zu gewinnen
Ein nicht zu unterschätzender Teil der Belegschaften verfügt über eine hohe Loyalität zu den Unternehmen und wird gerade in diesen Zeiten nicht wechseln, sei es aus persönlichen Gründen (den Kollegen nicht allein lassen), aus Gründen der Dankbarkeit oder aus der Überzeugung heraus, gemeinsam gestärkt aus der Krise zu kommen. Diese Mitarbeitenden sind der Anker und das Rückgrat der Unternehmen und für eine Ansprache nicht erreichbar. 13 Viele Unternehmen kümmern sich in diesen Zeiten in besonderem Maße um ihre Belegschaft und versuchen Arbeitsplätze trotz Umsatzeinbußen zu sichern. Die Mitarbeitenden wissen dies in großer Anzahl mit Loyalität zu beantworten.
Redefinition von Recruiting-Strategien im Kontext der Pandemie
Die pandemiebedingten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt setzen die bewährten Strategien des Recruiting unter Veränderungsdruck. Die Zeiten des umfassenden Aufschwungs am Arbeitsmarkt sind vorbei14 und wir steuern gesamtwirtschaftlich einer Periode entgegen, die von einer erhöhten Arbeitslosigkeit und einer sehr hohen Zahl von aktiv Suchenden am Arbeitsmarkt charakterisiert sein wird. Jedes Unternehmen muss auf diese Entwicklungen vorbereitet sein, da viele Effekte über einen längeren Zeitraum hinweg anhalten und einige davon gerade erst im Entstehen sind. Ein paar dieser Effekte können wir aus der heutigen Sicht schon ziemlich genau umreißen:
Bewerbermanagement und Bewerbungsprozesse werden (wieder) wichtiger.
Viele Unternehmen, die Personal suchen, werden von der Vielzahl der Bewerbungen und auch der täglich eintreffenden Initiativbewerbungen überrascht sein. Einige Unternehmen berichten schon aktuell von 10-fachen Bewerbendenzahlen auf ihre Ausschreibungen und einen übermäßigen Eingang von Initiativbewerbungen – vor allem auch auf dem Postweg15. Sowohl von Seiten des eingesetzten Bewerbermanagementsystems, als auch von Seiten des eingesetzten Personals und der Prozesse, können HR- Abteilungen schnell an ihre Grenzen geraten.
Ansprache des „Aktivsuchermarktes“ funktioniert (teilweise) wieder.
Jahrelang ging die Bedeutung der aktiven Stellensuchenden zurück. Die Ausschreibung von Stellen über Internetbörsen wurde zwar kontinuierlich mitbedacht, jedoch waren die Erfolge meist überschaubar. Unternehmenseigene Direktansprachen und die Einschaltung von Dienstleistern nahmen vor der Pandemie tendenziell eher zu.
Durch die pandemiebedingten Entlassungen, bzw. den Wunsch vieler Beschäftigter ihren Arbeitsplatz zu wechseln (s.o.), bekommen passive Maßnahmen der Bewerbendengewinnung eine neue Bedeutung. Die Internetstellenbörsen, Instagram oder auch unter bestimmten Bedingungen die Tageszeitung, die Plakatwand oder mitunter auch das Fernsehen können Orte erfolgsversprechender Kampagnen sein.16
Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsplatzsicherheit.
Die Kommunikation der Sicherheit des Arbeitsplatzes wird sicherlich die „Trendbotschaft“ in der Bewerbendenkommunikation 2021. Die Unternehmen, denen es gelingt, diese Botschaft glaubwürdig und nachhaltig zu etablieren und überzeugend zu kommunizieren, werden sicherlich einen erhöhten Bewerbungseingang registrieren. Hier können auch kommunale Arbeitgeber profitieren, die in den letzten Jahren oftmals ein Nachsehen hatten, sowie Unternehmen mit Beteiligung des Staates und die Bundeswehr. 17
Fazit
Das Recruiting in Zeiten der Pandemie muss auf veränderte Marktbedingungen reagieren. Die Tatsache, dass sich mehr als 5 Millionen Menschen im Sommer 2020 in Kurzarbeit befanden, und die zahlreichen Personalabbauprogramme von großen Konzernen bis hin zu Soloselbstständigen führen zu einer Vervielfachung von aktiven Jobsuchern in 2021 und dies stellt Recruiting-Abteilungen vor neue Herausforderungen. Sowohl interne Ressourcen hinsichtlich eines steigenden Bewerbendenaufkommens als auch geänderte Suchen der Bewerbenden und ein zu änderndes Personalmarketing stellen an die Unternehmen neue Anforderungen. Die Veränderung von Bewerberbungsprozessen, eine geänderte Ansprechstrategie von Bewerbenden und ein geändertes Personalmarketing sind nur drei von vielen zu beachtenden Punkten für ein erfolgreiches Recruiting in der Pandemie.
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