In den letzten Wochen häufen sich wieder die Mails, die von großen Karriereportalen im Auftrag ihrer Personalvermittlerkunden an willkürlich erscheinende Personen im großen Stil versendet werden. Vermuten manche dahinter eine nicht funktionierende KI, so sind andere erstaunt, warum sie eine extrem kurze E-Mail mit einem Jobangebot erreicht, welches nur sehr entfernt an das eigene Kompetenzprofil erinnert. Aber worum geht es bei diesen E-Mails, die sich zeitlich passend zum erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung in den Posteingängen einfinden? Wir versuchen dies und das dahinterliegende Geschäftsmodell zu erklären.
Das Gesetz der hohen Zahl
Die ein oder andere Leser*in mag sich noch an die Spams der 2000er Jahre erinnern, die regelmäßig die Posteingänge verstopften. Egal ob sie Männern suggerierten einige Zentimeter zu wachsen 1 oder Menschen mit einem Bankkonto anboten, Geldgeschäfte für Mitglieder afrikanischer Königshäuser durchzuführen. Das System war ähnlich und funktionierte nach demselben Prinzip.
Je mehr Spam-Mails versendet werden, umso mehr Kund*innen kann man gewinnen. Natürlich antwortet auf solche Mails niemand – fast niemand. Die Antwortraten lagen damals laut einer etwas älteren Studie, die speziell diese Art von Mails untersuchte, bei 1 von 25 Millionen 2 Bei über 250 Millionen E-Mails, die versendet wurden, konnten trotzdem einige Unternehmen lukrative Betrugsmodelle etablieren. 3
Mit Speck fängt man Mäuse
Um die Antwortraten auf diese E-Mail zu erhöhen haben sich die Versender nun Folgendes gedacht: Die Mail wird nicht an irgendjemanden versendet, sondern nur an Menschen, die bestimmte Merkmale aufweisen, und sei es nur die Region oder „irgendwas mit Vertrieb“. Und da die Mail über einen großen Stellenanzeigenanbieter mit Lebenslaufdatenbank versendet wurde, ist davon auszugehen, dass viele latent oder aktiv Jobsuchende unter den Leser*innen sind. Durch diese Eingrenzungen werden die Antwortraten schon steigen, da man sich hier in einer definierten Zielgruppe befindet 4.
Das perfide und gleichzeitig für viele Leser*innen wirklich überzeugende Argument dieses Mailings verbirgt sich hinter folgender Formulierung:
„Vertriebsmitarbeiter*innen Logistik Nordhessen“
Jeder, der im Bereich der Logistik tätig ist oder auch fast jeder aus der Region Nordhessen, vermutet hinter dieser Anzeige den Kunden:
Amazon! im nordhessischen Bad Hersfeld!
Dies triggert einige Passivsuchende, die „eigentlich“ nicht auf der Suche sind, aber denken: „Amazon?!, das kann man sich ja mal anhören“ Der Weg zum Bewerbungsformular ist dann nur einen weiteren Klick entfernt und die Antwortraten steigen.
Es geht gar nicht um Amazon, oder?
Das geschickt in die Mail eingebundene Rätsel, um welchen Arbeitgeber es sich denn wohl handeln könnte, ist häufig in diesen E-Mails zu finden. Immer dann – so auch eine Erkenntnis des Marketings – wenn man ein kleines Rätsel in seiner Werbung versteckt, vermuten viele, dass nur sie oder nur ganz wenige dieses Rätsel auch lösen können und sind damit zusätzlich motiviert teilzunehmen, weil sie erhöhte Gewinnchancen vermuten. 5
Das Personalvermittlungsunternehmen erhält nun aus diesen Kampagnen sicherlich hunderte von Bewerbungen 6 aus der krisengeschüttelten Logistikbranche, die mit dem nahenden Wirtschaftsaufschwung nach der 2. Coronawelle so viel Hoffnung auf Besserung der Lage verbindet.
Aufbau einer Vertriebsdatenbank
Schon im Vorfeld der Kampagne ist dem Personalvermittlungsunternehmen aufgefallen, dass viele Unternehmen in Nordhessen Logistikpersonal suchen (Nordhessen ist auf Grund seiner Lage ein Logistikhotspot). In diesem engen Markt ist es für die Logistiker schwer an geeignete Bewerber*innen zu kommen, da diesen viele Beschäftigungsmöglichkeiten offenstehen. Dementsprechend herrscht ein großer Mangel an Bewerber*innen mit einem guten Ausbildungshintergrund.
Das Personalvermittlungsunternehmen, das diese Entwicklung verfolgt, legt eine Datenbank aller Logistikunternehmen mit Stellenausschreibungen in Nordhessen an und anonymisiert gleichzeitig alle Profile der Bewerber*innen, die über die oben beschriebene Anzeige eingegangen sind 7.
Vertrieb: go!
Mit der Vertriebsdatenbank und hunderten für die Branche interessanten Profilen startet die Kundenakquisitionsphase. Vor allem sehr junge, erfolgshungrige „Consultants“ 8 telefonieren sich in die HR-Abteilungen der Logistiker Nordhessens und offerieren „kostenfreie und unverbindliche“ anonymisierte Profile 9. Da der Bedarf der HR-Abteilung im Vorfeld schon recherchiert wurde, ist die Verlockung der HR-Referenten groß, sich durch die kostenlosen, anonymen Profile zu klicken 10. Sollte dann ein Profil als interessant bewertet werden, hängt der Kunde an der Angel.
Was nicht passt, wird passend gemacht -: Die Vermittlung zählt!
Nachdem der „Consultant“ einen Kunden an der Angel hat, gilt es nun darum, den Fisch an Land zu bringen. Er muss nun diese oder irgendeine ähnlichen Bewerber*in für das interessierte Unternehmen gewinnen. Er ruft nun den Bewerbenden, der hinter dem anonymen Profi steht an und verkündet, er habe ein Jobangebot und ein Vorstellungsgespräch für ihn. Der Bewerbende gibt sich bei Nennung des Unternehmens etwas verdutzt (er hatte ja mit Amazon gerechnet), aber die Chance auf ein Vorstellungsgespräch möchte er ja sicher nicht ausschlagen, oder? Jetzt wird die Bewerber*in – sofern der „Consultant“ sie zu einer Bewerbung motivieren konnte – oder eben ein ähnlicher Bewerbender vorgestellt. 11 Passt es nun zwischen Bewerbendem und Unternehmen, wird die Vermittlungsprämie fällig. Wenn nicht, kennt der „Consultant“ nun einen interessierten Kunden und hat somit die Chance weitere oder ganz andere Kandidat*innen zu präsentieren. 12
Warum funktioniert dieses Vertriebssystem?
Sicherlich werden einige Leser*innen erstaunt sein, wie so ein System im HR-Dienstleisterumfeld existieren und erfolgreich sein kann.
Dieses System, mit dem vor allem große Personalvermittlungsunternehmen aus dem englischsprachigen Ausland operieren, funktioniert nur aufgrund von immensen Anfangsinvestitionen 13 und einem strengen und ausschließlich auf Zahlen optimierten Vertriebssystem. Sehr hohe Investitionen in Kampagnen über Direct Mail, aber natürlich auch in Form von überregionalen Stellenanzeigen, Plakatkampagnen und/oder Fernsehwerbung bringen Bewerbende dazu, sich auf anonyme Stellenanzeigen zu bewerben. Junge, meist sehr eloquente und auf HR-Telefonvertrieb geschulte „Consultants“ vertreiben daraufhin anonyme Profile, die erst bei Einstellung kostenpflichtig werden und gewinnen so immer neue Kunden. Bewerber*innen werden mit teils schon vereinbarten, unverbindlichen Vorstellungsgesprächen überzeugt, sich bei vormals nicht interessanten Unternehmen vorzustellen.14 Am Ende des Tages haben manchmal trotz aller Unwägbarkeiten alle Beteiligten ihr Ziel erreicht (Bewerber*innen – Job, Unternehmen – Mitarbeiter*innen, Consultant – Provision). Oftmals gehen aber alle Beteiligten enttäuscht aus dem Prozess.
Das System funktioniert dort, wo sehr allgemeine Anforderungen an die Beschäftigten gestellt werden. Sehr spezifische Anforderungen von Unternehmen kleiner Branchen rentieren sich kaum. So werden in den Anzeigen meist auch ausgesprochen unspezifische Profile verlangt (Vertrieb, Controlling, Einkauf, etc.) die meist auf viele Stellen vermittelt werden könnten, in denen die spezifischen Jobanforderungen in kurzer Zeit erlernbar sind.
Der Autor nennt im gesamten Text bewusst keine Unternehmensnamen, sondern beschreibt ausschließlich ein Vertriebssystem, welches in HR-Kontexten Anwendung findet. Viele Unternehmen nutzen das System und sind auch mit den Ergebnissen zufrieden, dies muss ausdrücklich betont sein. Die Personalvermittlungsunternehmen, die mit diesem Modell arbeiten, wachsen und sind für viele Hochschulabsolvent*innen eine erste Berufsstation in der Welt der Personaldienstleistung. Viele Jobsuchende erhalten über dieses Modell eine neue Perspektive, die sie ohne Unterstützung vielleicht nicht erreicht hätten. Kurzum, für viele ist dieses Modell ertragreich und wird geschätzt.
aumann & metzen GmbH nutzt ganz bewusst nicht diese Methode der Personalberatung und schlägt einen anderen Weg ein. In einer sich immer weiter diversifizierenden Wirtschaft mit immer spezifischeren Anforderungen an Ausbildungs-, Berufs-, Branchen- und Produkterfahrungen werden diese Modelle zunehmend unattraktiv für Unternehmen, da sie meist Generalist*innen liefern, wo Spezialist*innen gebraucht werden. Irgendein Vertriebler für irgendein Logistikunternehmen in Nordhessen wird schon bald Geschichte für die Personalberatung sein.
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